Die beiden Schimpansinnen bekommen demnächst in Antwerpen ein neues Zuhause

Mit dem Beginn der Vorbereitungen für den Bau der Leopardenanlage hat der Tierpark Nordhorn jüngst sein aktuelles Großprojekt gestartet, um eine der ältesten Anlagen zu ersetzen und sich weiterhin in der dringend notwendigen Erhaltungszucht engagieren zu können.

Auch bei den Menschenaffen im Nordhorner Familienzoo tut sich etwas. Die beiden verbliebenen Nordhorner Schimpansinnen „Nancy“ und „Lomela“ sind wie alle in wissenschaftlich geführten Zoos gehaltenen Schimpansen Teil des europäischen Zuchtprogramms, welches von den Zoos zur Arterhaltung betrieben wird. Durch dieses Programm werden die Zuchtgruppen untereinander gemanagt, neue Gruppen zusammengestellt und Zuchttiere getauscht um einen großen Genpool dieser bedrohten Affen zu gewährleisten und das Überleben dieser Tiere zu sichern. Um das Management der vielen Schimpansenhaltungen kümmert sich ein entsprechender Zuchtbuchführer. Auch der Tierpark Nordhorn steht seit Jahren in ständigem Kontakt mit dem Zuchtbuch. Er hat im Zuchtbuch so auch die wichtige Rolle einer Zwischenstation für bestimmte Schimpansen übernommen. Immer mal wieder kommt es natürlich in den Zuchtgruppen vor, dass einzelne Tiere in der Gruppe nicht mehr geduldet werden oder aus Alters- oder genetischen Gründen getauscht werden sollen. „Schimpansen sind sehr soziale Tiere und haben komplexe Gruppenstrukturen!“ so Zoodirektor Dr. Nils Kramer. „Wer Schimpansen wirklich kennt, weiß um die hohen Anforderungen, die bei der Zusammensetzung von Gruppen beachtet werden müssen! Auch für Tiere, die aus verschiedenen Gründen nicht mehr in ihren Gruppen geduldet werden, braucht das Zuchtbuch entsprechende Haltungen.“
Immer mal wieder hat der Tierpark Nordhorn zwischenzeitlich verschiedenen Schimpansen Unterschlupf geboten. Im Grunde war der Park somit stets eine Art Übergangsstation für Schimpansen. Es handelte sich dabei immer um eine nichtzüchtende Gruppe. Entweder lebte eine reine Weibchengruppe im Familienzoo oder die Damen hatten Gesellschaft von einem nicht züchtenden Männchen.

In den letzten Jahren gab es schon viele Optionen, die vom Zuchtbuch zusammen mit den beteiligten Zoos ernsthaft geprüft wurden. Bei diesen Überlegungen steht dabei immer das Wohl der Tiere an erster Stelle. Manch eine Option wurde deshalb in der Vergangenheit nach gründlicher Prüfung auch wieder verworfen. Im Juni vergangenen Jahres wurde der Schimpansenmann „Lukani“ auf Empfehlung des Zuchtbuches zum Beispiel nach Beekse Bergen (Niederlande) vermittelt. Für „Nancy“ und „Lomela“, die beiden jetzigen Nordhorner Schimpansinnen, hat das Zuchtbuch mit dem Zoo Antwerpen in Belgien nun aktuell auch eine neue Gruppe empfohlen!

Für „Nancy“ war der Tierpark Nordhorn fast 32 Jahre lang ihr Zuhause. Im November 1987 kam sie zusammen mit Schimpansin „Biene“ hier her. Beide Tiere stammten aus einem Zirkus, der die Menschenaffen nicht mehr halten konnte. Für „Nancy“ steht das Geburtsjahr 1979 in den Akten. Demnach ist sie 40 Jahre alt. Im Freiland die Höchstgrenze. In der Regel werden die Tiere hier maximal 30-40 Jahre alt, viele sterben bereits im Kindesalter. Denn wie bei fast allen Tierarten ist die Jungtiersterblichkeit hoch. In menschlicher Obhut dagegen können Schimpansen auch das 50ste Lebensjahr erreichen.
Aus den Jahren ihrer Jugendzeit im Zirkus (Schimpansen werden erst mit 7-9 Jahren geschlechtsreif) hat sich „Nancy“ eine besondere Eigenart bewahrt: das „Grimassen schneiden“. Überhaupt ist sie recht Menschenbezogen. „Das macht die Arbeit und das Training mit ihr deutlich leichter als zum Beispiel mit „Lomela“, sagt Gwen Bron, Revierleiterin des Affen-Vogel-Reviers. Die Niederländerin hat zusätzlich zur Tierpflege eine Tiertrainer-Ausbildung abgeschlossen. Ihr Verhältnis zu den Schimpansen in Nordhorn ist sicher am intensivsten. Auch wenn natürlich andere Tierpfleger ebenfalls mit den Menschenaffen trainieren und diese versorgt haben. „Nancy“ vertraut ihrer Pflegerin Gwen so sehr, dass diese bei der Schimpansin sogar Fieber messen oder eine Spritze geben kann!

Mit „Lomela“ klappt das nur bedingt. Sie ist deutlich autarker, selbstbewusster, misstrauischer und auch etwas schlauer als „Nancy“ – sofern man das so vermenschlicht sagen kann. „Lomelas“ Geburtsdatum ist genau bekannt. Sie wurde in diesem Jahr 30 Jahre alt und stammt aus dem Allwetterzoo in Münster. Leider hat „Lomela“ vier Mal tote Jungtiere zur Welt gebracht. Warum, konnte nicht herausgefunden werden. Sie war immer sehr an Jungtieren interessiert und hätte sich höchst wahrscheinlich auch gut um ihren eigenen Nachwuchs gekümmert, wenn der denn lebend zur Welt gekommen wäre.
„Diesmal wird der Umzug klappen, alle Beteiligten sind sich einig!“, freut sich die Zootierärztin und Kuratorin Dr. Heike Weber. Seit 17 Jahren arbeitet sie hier. Und von Beginn an hat sie zusammen mit dem Zuchtbuch versucht, für die verschiedenen Nordhorner Schimpansen geeignete Gruppen zu finden. Dass das nicht einfach war, zeigt die Zeit, die seither vergangen ist. „Man will ja auch sicher sein, dass es den Tieren in einer neuen Gruppe besser oder zumindest genauso gut geht wie bei uns“ erklärt sie. „Und diese beiden Schimpansen sind aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters, der unbekannten Herkunft und Genetik bei „Nancy“ bzw. der Totgeburten bei „Lomela“ auch keine einfachen, geschweige denn züchterisch interessanten Tiere. Aber sie sind echte Persönlichkeiten und umso glücklicher sind wir mit dem Zoo Antwerpen in Belgien einen richtig guten Ort für die beiden gefunden zu haben“ erklärt sie.

Der Zoo Antwerpen stellt eine neue Gruppe Schimpansen zusammen. Die Gruppe soll vorwiegend aus älteren Tieren bestehen, quasi eine Art „Rentner-WG“ bilden. Die Nordhorner Tiere sollen, wenn alles terminlich gut klappt, im Laufe des
Monats Oktober nach Belgien umziehen und dort von Beginn an durch ihre Ruhe und ihr Alter für die nötige Struktur in der Gruppe sorgen.
Antwerpen hat sehr gut strukturierte große Außen- und Innenanlagen für Schimpansen. Die Pfleger dort kennen sich mit der Tierart aus und waren auch schon zwei Tage in Nordhorn, um „Nancy“ und „Lomela“ kennen zu lernen. Zudem wird die wichtigste Bezugsperson der Schimpansinnen, ihre Nordhorner Tierpflegerin Gwen Bron mitfahren und sie während der ersten Woche in Antwerpen begleiten. Denn für die beiden Menschenaffen wird alles neu sein: die Umgebung, die unbekannten Artgenossen und die nur mal für zwei Tage gesehenen neuen Tierpfleger. „Da kann ich als vertraute Person den beiden ganz bestimmt etwas Ruhe und Sicherheit geben“, so Bron.

Wobei man bei „unbekannte Artgenossen“ eine Einschränkung machen muss. Zumindest „Lomela“ wird in Antwerpen auf ein Weibchen treffen, das ihr noch aus der Zeit in Münster bekannt sein dürfte. Die Tierpfleger sowohl aus Nordhorn als auch aus Antwerpen sind sehr gespannt, ob sich ein Widererkennungseffekt nach knapp 20 Jahren am Verhalten der beiden ablesen lassen wird. Auf jeden Fall hoffen alle, dass sich die beiden Nordhorner Weibchen schnell und gut in die Antwerpener Schimpansengruppe integrieren werden. Bei weiblichen Tieren klappt das in der Regel schneller und einfacher als bei männlichen. Denn in ihren natürlichen Lebensräumen, den Regenwäldern und Savannen des mittleren Afrikas, ziehen Schimpansen in sogenannten Fission-Fusion-Groups umher. Das bedeutet, sie leben in großen Gruppen, die sich immer wieder in unterschiedliche Untergruppen aufspalten. Das ist ein sehr flexibles System, bei dem allerdings die Männchen die dominanten sind und ihre Untergruppen anführen. Daher ist es viel komplizierter Männchen, die von Natur aus eher dominant sein wollen, in eine bestehende Schimpansengruppe zu integrieren als Weibchen.

„Sicher werden einige, vor allem die Tierpfleger, die Schimpansen in Nordhorn vermissen. Vor allem diese zwei, die man so lange und so gut schon kennt. Aber andererseits ist es auch schön zu wissen, dass sie in einen guten Zoo kommen, wo sie in einer größeren Schimpansengruppe zusammen ihren Lebensabend verbringen können“ resümiert Tierparkleiter Dr. Nils Kramer.
Gerade da man in der Vergangenheit regelmäßig zusammen mit dem Zuchtbuch verschiedene Optionen geprüft und im Interesse der Tiere auch wieder verworfen hat, eröffnen sich durch die jüngste Entscheidung nun für den Tierpark auch ganz neue Optionen bei den Großprojekten. „Die Bauvorbereitungen für die Leoparden laufen!“ so Kramer. „Anschließend kümmern wir uns um das Seehundbecken!“